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Die geheimnisvolle Macht der Farben

Steckbrief

Prof. Dr. Axel Buether:  Architekt, Designer und Farbforscher
Idee: Menschen im Mittelpunkt der Raumgestaltung
Umsetzung: Entwicklung der Serie Pro Architectura 3.0
Inspiration: Das multisensorische Erlebnis der Farbe
Aufgabe: Lehrstuhl Didaktik der Visuellen Kommunikation, Universität Wuppertal, Leiter des deutschen Farbenzentrums e.V., Wuppertal

 

Deutschlands führender Farbexperte bringt es in seinem neuen Buch „Die geheimnisvolle Macht der Farben“ wieder einmal eindrucksvoll auf den Punkt: Farben werden nicht nur als dekoratives Element eingesetzt, sie beeinflussen unser Verhalten und Empfinden auf verschiedenste Weise. Im Interview beschreibt Prof. Dr. Axel Buether, wie Farben auf unsere Psyche wirken – und wie wir diese Erkenntnis für uns nutzen können.

Sie sprechen von der „Macht der Farben“. Das heißt, gegen das, was unser Unterbewusstsein farblich wahrnimmt und interpretiert, können wir nicht gegensteuern?
Die Natur hat es klug eingerichtet, dass unsere Welt farbig ist. Farbe ist das erste Signal, das unser Gehirn wahrnimmt. In Bruchteilen von Sekunden sorgt die Farbwahrnehmung für eine emotionale Verhaltensreaktion. Viele Grüntöne empfinden wir beispielsweise als angenehm – weil wir evolutionär geprägt sind und wissen, dass wir in Wäldern oder auf Wiesen ein fruchtbares Umfeld mit genügend Nahrung finden. Aber Farben zeigen uns auch die Wirkungen unseres eigenen Erscheinungsbildes, unserer Worte und Gesten: Ein Mensch, den wir im Gespräch emotional berührt haben, wird rot – vielleicht aus Scham oder aber vor Zorn. Mit anderen Worten: Farbe trägt in hohem Maße dazu bei, die Wahrnehmung unserer Umwelt, unser Verhalten wie auch die Begegnungen mit anderen Menschen zu steuern.

In der Gedächtnislandkarte haben Farben unterschiedlichste Bedeutungen und ein breites Wirkspektrum

Das heißt im Umkehrschluss, man kann Farbe bewusst einsetzen, um bestimmte Emotionen hervorzurufen?
In vielen Bereichen, zum Beispiel in der Packungsgestaltung wird Farbe seit langem konsequent eingesetzt, um zu manipulieren. Natürlich greift man im Lebensmittel- Regal gerne nach gesundem Grün, weil man damit natürliche Inhaltsstoffe und Bekömmlichkeit verbindet. Und ebenso gerne lassen wir uns von der neuen Modekollektion verlocken, weil wir ein Teil in einer bestimmten Farbe unbedingt besitzen müssen. Wenn man sich diese Manipulation bewusst macht, kann man wenigstens in diesem Bereich der Macht der Farben entgehen.

Was führt dazu, dass man ein bestimmter Farbtyp ist?
Warum fühle ich mich in einer Farbe wohl, in einer anderen aber nicht? Objektive Kriterien sind natürlich Hautfarbe, Hauttypus sowie Haar- und Augenfarbe. Ob man sich in einer bestimmten Farbe wohlfühlt, lässt sich nicht pauschal beantworten. Wenn es um Kleidung geht, hängt die Entscheidung für eine Farbe häufig vom Anlass ab. Natürlich gehört der Wohlfühlfaktor dazu, aber auch die Rolle, die ich spielen will. Wie sollen andere mich wahrnehmen? Professionell im Business, fröhlich auf einer Gartenparty, dezent im Theater. Was viele dabei nicht beachten: Schlichtes Grau oder Schwarz unterstreicht zwar den professionellen Auftritt, wirkt aber wie eine Uniform oder Maskierung. Persönliche Eigenschaften werden von Beginn an versteckt, man wirkt unnahbar. In warmen Farben gekleidete Kollegen profitieren von einem Vertrauensvorschuss – die Chemie scheint zu stimmen, sie werden sehr viel schneller mit ihrem Umfeld ins Gespräch kommen als der graue Typ. Komplett auf Farbe zu verzichten, um keine Fehler zu machen ist daher auch keine Lösung. Die Kunst besteht darin, die Möglichkeiten und den Reichtum der Farben für sich zu nutzen und die Farbe zu finden, die die eigene Persönlichkeit am besten unterstreicht.

Das Outfit wählt man nicht nur passend zum Anlass, es unterstreicht auch Stimmung und Ausstrahlung

Welche Schussfolgerungen kann man daraus für die Innenarchitektur ziehen?
Wir wissen längst, dass Farben auch hier eine große Rolle spielen. Weil Farben bestimmte Schlüsselreize bei uns auslösen, ist es wichtig von Anfang an die zur Raumnutzung passende Farbe zu finden. Sie steigert nicht nur das Wohlbefinden, sondern auch die Nachhaltigkeit. Denn die richtige Farbwahl sorgt dafür, dass Unzufriedenheit mit der Gestaltung und demzufolge Renovierungswünsche gar nicht erst entstehen.

Ein Raum ganz in Weiß trägt beispielsweise in hohem Maße dazu bei, dass wir uns unwohl fühlen. Unser Unterbewusstsein hat die Farbe Weiß nicht positiv besetzt. Schließlich gibt es in der Natur kaum unwirtlichere lebensfeindlichere Umgebungen als frostige Eis- und Schneelandschaften. Dennoch kann man nicht einfach zu vermeintlich wärmeren Farben greifen und alles ist gut. Jeder Mensch hat andere Bedürfnisse, Räume erfahren heute eine ganz andere Wertschätzung als früher. Bad und Küche sind beispielsweise längst keine funktionalen Räume mehr. Im Bad möchte man sich wohlfühlen und durchatmen können, die Küche wird zum Kommunikationszentrum für Familie und Freunde. Damit diese Räume ihre Aufgabe erfüllen, müssen die Farben sorgfältig ausgewählt werden. Es reicht nicht, sie bunt anstatt weiß zu gestalten. Das muss man sich selbst einfach mal vor Augen führen.

„Reaktion auf Farbe ist keine Frage der Ästhetik, sondern ein biologischer Prozess. Menschen reagieren emotional und unwillkürlich mit Verhaltensänderungen auf Licht- und Oberflächenfarben wie auch auf Kälte, Wärme, Gerüche, Geräusche und Berührungen.“

Hier kommen also die Farbexperten ins Spiel?
Theoretisch ja, leider geschieht das in der Praxis viel zu selten. Das Thema Farbe steht an den Universitäten und bei der Ausbildung von Architekten und Innenarchitekten nicht gerade an erster Stelle. Dennoch hat man erkannt, dass es bei der Farbwahl in vielen Objekten nicht um den persönlichen Geschmack des Planers gehen sollte. Gerade beim Bau von Kliniken, Schulen, Bürogebäuden oder Pflegeeinrichtungen wird diese Entscheidung oft bereits Farbexperten wie uns überlassen. Wir untersuchen dann exakt die Bedürfnisse der Zielgruppe und überlegen, wie der Raum dazu beitragen kann. Sind es Schüler, von denen Aufmerksamkeit gefordert wird? Sind es Kollegen, die gemeinsam an einem Arbeitsplatz konzentriert arbeiten möchten? Oder sind es Patienten, die sich geborgen und sicher fühlen sollen? Gerade im letzten Fall hat sich zudem gezeigt, dass Patient noch längst nicht Patient ist: Patienten einer Palliativ-Station fühlen sich in einer anderen Umgebung wohl als Demenzkranke. Viele Gespräche zur Klärung der exakten Bedürfnisse führen schließlich dazu, dass wir mithilfe von Farbe die richtige Atmosphäre schaffen, die die Aufgabe der Raumsituation erfüllt. Die Farbgestaltung ist ein wesentlicher Umweltfaktor, der entscheidend dazu beiträgt, dass sich Menschen in Ihrem Lebensraum wohl fühlen, dass sie gesunden oder gesund bleiben, effizient lernen oder sich von anstrengenden Tätigkeiten erholen können. In einem unserer Forschungsprojekte haben wir den Bedarf in verschiedenen Kliniken analysiert, diese mit entsprechenden Farben ausgestattet und später den Erfolg gemessen. Das Ergebnis unserer Farbwahl: Der Heilungsprozess der Patienten wurde häufig verkürzt, der Medikamentenverbrauch gesenkt und der Therapieerfolg verbessert.

Umgebung in der Klinik: Vorher kühl, nachher freundlich

In vielen Bereichen hat aber bereits ein Umdenken stattgefunden, oder nicht?
Genau, in Hotels beispielsweise. Ein Hotel, komplett in weiß ausgestattet, hätte längst keine Gäste mehr. Bereits in der Rezeption und der Lounge wird man heute mit warmen Wohfühlfarben empfangen. Das Farbkonzept setzt sich dann fort über Flure und Restaurants bis zu den Zimmern, um durchgängig Geborgenheit zu vermitteln.

Farbe so genau planen und einsetzen – führt das nicht auch zu Verunsicherung? Kann man es noch wagen, eine Farbe nach Geschmack auszuwählen?
Natürlich, im persönlichen Bereich können wir uns auf unser Bauchgefühl verlassen. Wichtig ist, dass wir die Auswahl nicht auf geschmäcklerische Empfinden wie „hässlich“ und „schön“ verlassen, sondern die passenden Farben und Farbkombinationen für den jeweiligen Anwendungszweck finden. Absolute Wohlfühlfarben sind für die meisten Personen warme erdige Töne. Genau solche Farben wirken auf den ersten Blick eher verschmutzt und hässlich, sie werden in unseren Untersuchungen und Workshops meistens sofort aussortiert, da sie ihre Qualität nicht auf dem Farbmuster, sondern erst durch ihre Anwendung im Raum entfalten.

Der Mensch braucht also Farben für sein Wohlbefinden?
Ja gewiss, denn Farben bilden einen integralen Bestandteil unseres angestammten Lebensraums – doch in jeder Lebenssituation kommt es auf die richtige Farbwahl und die Ausgewogenheit der Farbkomposition an. Bei der Entwicklung der Fliesenserie PRO ARCHITECTURA 3.0 haben wir genau das berücksichtigt. Wir haben nicht etwa nur Fliesen in verschiedenen hochwertigen traditionell hergestellten Farben geschaffen. Als Inspirationsquelle für Planer und Architekten haben wir innerhalb des Farbsystems zwölf Coloursets entwickelt: Eine Art Farbmatrix, die Spielraum gibt für die Kombination von Farben, Materialien und Oberflächen – und damit für die Gestaltung einer Umgebung, die genau das individuelle Raumgefühl vermittelt, das zum Wohlbefinden beiträgt.

Was würden Sie uns zum Schluss mit auf den Weg geben?
Alle Menschen sind Farbexperten – sie wissen es nur nicht. Wer die Farben finden will, die ihm guttun, muss sich mit dem Thema auseinandersetzen. Es reicht nicht, in einem neuen Raum die Lieblingsfarbe einzusetzen. Vielmehr muss man sich fragen, welchen Zweck dieser Raum erfüllen soll. Nur so kann man die Farbwahl richtig treffen.

Prof. Dr. Axel Buether
Die geheimnisvolle Macht der Farben
Wie sie unser Verhalten und Empfinden beeinflussen
Droemer Verlag